OLG Hamm nimmt zu Vorfahrtsregeln auf Zufahrtsstraßen von Parkplätzen Stellung
OLG Hamm 29.8.2014, 9 U 26/14
Einen Vertrauensgrundsatz zugunsten des „fließenden“ Verkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Ein- oder Ausfahrenden gibt es zwar grundsätzlich nicht. Auf öffentlichen Parkplätzen kann der fließende Verkehr ausnahmsweise aber auf ein Warten des aus einem Stellplatz ein- oder ausfahrenden Verkehrsteilnehmers vertrauen, wenn die Fahrspuren zwischen den Parkplätzen Straßencharakter haben und vorrangig der Zu- und Abfahrt von Fahrzeugen dienen.
Der Sachverhalt:
Der Kläger befuhr im Juni 2013 mit deinem Lastzug auf dem an der BAB 44 gelegenen Rastplatz Eringerfeld den zur Autobahnauffahrt führenden Zufahrtsweg. An diesen grenzen rechtsseitig ca. 18 schräg angeordnete Lkw-Stellplätze, von denen die Einfahrt in die Zufahrtsstraße möglich ist. Auf dem letzten Stellplatz rangierte zur gleichen Zeit der Lastzug der beklagten Transportfirma. Beide Lastzüge stießen zusammen, als der klägerische Lastzug den Lastzug der Beklagten passierte. Vorprozessual hatte die Haftpflichtversicherung der Beklagten den Schaden auf der Grundlage einer 50 %igen Haftungsquote reguliert. Der Kläger forderte jedoch den 100 %igen Ersatz seines Schadens und begehrte die Zahlung weiterer ca. 12.000 €.
Das LG wies die Klage weitestgehend ab. Es war der Ansicht, die vom Kläger befahrene Zufahrtsstraße diene nicht dem fließenden Verkehr und vermittle gegenüber dem aus dem Stellplatz anfahrenden Beklagten kein Vorfahrtsrecht. Zudem sei der Kläger mit ca. 40 km/h zu schnell unterwegs gewesen, da er jederzeit mit ausparkenden Fahrzeugen habe rechnen müssen. Auf die Berufung des Klägers hob das OLG die Entscheidung auf und gab der Klage überwiegend statt.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein weiterer Schadensersatzanspruch i.H.v. 10.993 € gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 823 Abs. 1 BGB zu. Denn die Beklagte haftet dem Kläger in vollem Umfang auf Ersatz der diesem durch den Verkehrsunfall entstandenen Schäden.
Auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen sind zwar die Regeln der StVO anzuwenden, denn Parkplätze dienen dem ruhenden Verkehr. Infolgedessen trifft der Ein- oder Ausparkende in der Regel nicht auf fließenden Verkehr, sondern auf Benutzer der Parkplatzfahrbahn. Im Verhältnis dieser Verkehrsteilnehmer gilt kein Vertrauensgrundsatz zugunsten eines „fließenden“ Verkehrs gegenüber einem dann wartepflichtigen Ein- oder Ausfahrenden.
Etwas anderes kann jedoch angenommen werden, wenn die zwischen den Parkplätzen angelegten Fahrspuren eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen, sondern der Zu- und Abfahrt dienen. Handelt es sich um eine baulich größer und breiter ausgestaltete Zufahrtsstraße, kann § 10 StVO zur Anwendung kommen. Danach kann von dem Ausparkenden verlangt werden, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist. Einem fließenden Verkehr auf der Zufahrtsstraße muss er deswegen Vorrang einräumen.
Den Charakter einer derartig bevorrechtigten Zufahrtsstraße hat im vorliegenden Fall der Zufahrtsweg, auf dem die Lastzüge der Parteien kollidiert waren. Der beklagte Lastzug war deswegen gegenüber dem klägerischen Lastzug wartepflichtig gewesen. Da sich ein Verschulden des klägerischen Fahrers nicht feststellen ließ, war es angesichts des schwerwiegenden Verschuldens des Fahrers der Beklagten gerechtfertigt, allein die Beklagte für den Unfall haften zu lassen.
Quelle: OLG Hamm PM v. 24.9.2014
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